Alles hinwerfen, raus aus dem vertrauten Alltagstrott, ab jetzt etwas ganz anderes machen? Das haben sich sicher schon viele von uns gefragt – aber die wenigsten von uns besitzen dann auch den Mut und die Durchsetzungskraft, wirklich etwas an unserem Leben zu ändern. Ganz im Gegensatz zu Annika Grieb. Die studierte Sozialwissenschaftlerin war bereits auf dem Sprung zum Doktortitel, einer akademischen Karriere wäre eigentlich nichts im Weg gestanden. Doch dann kam mal wieder alles anders und Annika hat sich dazu entschlossen, ein Handwerk zu lernen. Käsen, um genau zu sein. Im Interview hat sie mir erzählt, wie es zu dieser Entscheidung kam und was sie unter dem Namen “Wurst Käs Szenario” noch vor hat.

Liebe Annika! Kurze Frage zu Beginn: Wann bist du heute aufgestanden? Und war das in deinem alten Beruf auch so?

Um 5:45 Uhr von Montag bis Samstag. Ich stehe auf, ziehe mich an und gehe direkt in die Käserei. Kaffee trinke ich erst später. In meinem alten Beruf bin ich zwischen 7:00 und 8:30 Uhr aufgestanden.

Du hast Sozialwissenschaften studiert und ein Doktoratsstudium begonnen. Wie kommt man da auf die Idee, alles hinter sich zu lassen, um Käserin zu werden?

Meine erste Doktorandenstelle direkt nach dem Studium habe ich nach einem halben Jahr beendet. Da hat es mit dem Betreuer nicht gepasst. Danach war ich schon mal offen für Veränderung, bin dann aber doch wieder in die Wissenschaft und habe meine zweite Doktorarbeit angefangen. Ja und dann sitzt man da mit Dreißig und fragt sich, was man denn so vor hat im Leben. Eigentlich wusste ich nur, was ich nicht will. Nicht mehr im Büro sitzen, nicht mehr in der Wissenschaft arbeiten, nicht mehr in der Stadt leben. Ich wollte vor allem näher an der Natur sein. In den Bergen leben.

Eine solche Umorientierung geht ja sicher nicht von heute auf morgen. Wie bist du da vorgegangen? Hast du dich erstmal an das Thema Käse herangetastet?

„Der Grundkurs war mein Schlüsselmoment. Danach war für mich klar: Ich muss Käserin werden!“

Erstmal war für mich klar, dass ich meinen befristeten Vertrag nicht verlängern werde. Also hatte ich 1 Jahr Zeit mich umzuorientieren. Ich wollte am liebsten direkt mit einem Handwerk beginnen ohne lange theoretische Vorausbildung. Aufs Käsen bin ich gekommen, weil ich sehr gerne Käse esse und so ein bisschen die Idee hatte mal auf eine Alm zu gehen. Bei Internetrecherchen bin ich dann auf den Grundkurs in handwerklicher Milchverarbeitung vom VHM (Verband für handwerkliche Milchverarbeitung) gestoßen und habe mich kurzerhand angemeldet. Vor Kursbeginn war ich etwas unsicher, da ich so wirklich keine Vorkenntnisse in der Milchverarbeitung hatte. Ich habe mich mit Youtube-Videos vorbereitet, damit ich wenigstens ganz grob weiß, wie aus Milch Käse wird. Der Grundkurs war mein Schlüsselmoment. Danach war für mich klar: Ich muss Käserin werden!

Inzwischen bist du auf dem Demeterhof Edler in der Steiermark gelandet. Wieso hat es dich dorthin gezogen und was sind deine Aufgaben auf dem Hof?

Meine erste Anstellung war eine Saisonanstellung über den Sommer. Danach war es mir als Einsteigerin wichtig, so viel wie möglich zu lernen und dabei sollte man nicht nur bei einem Betrieb bleiben. Ich habe daher online ein Stellengesuch aufgegeben und etwa 30 Anfragen aus Deutschland, der Schweiz und Österreich erhalten. Beim Demeterhof Edler hat einfach alles gepasst. Die Kühe fressen Heu und sind behornt, es wird mit Rohmilch gekäst und das volle Sortiment produziert. Und die Wohnung ist über dem Schweinestall, damit war das dann eine klare Sache für mich.

Ich bin als landwirtschaftliche Angestellte Vollzeit in der Käserei tätig. Seit kurzem habe ich die Schweine und die Fleischvermarktung mit übernommen. Ab und an springe ich beim Melken ein. Ansonsten gibt es auf einem Hof immer was zu tun. Wir teilen uns das in der Hofgemeinschaft auf – heute bin ich zum Beispiel für das Mittagessen zuständig.

Du bist noch bis Ende 2020 in der Ausbildung. Wie läuft die ab und was lernst du dabei alles?

Nachdem für mich klar war, dass ich in der Käserei meine Berufung gefunden habe, wollte ich mich fachlich ausbilden. Glücklicherweise bin ich noch in den 2018/20 Kurs zur staatlich geprüften Fachagrarwirtin in handwerklicher Milchverarbeitung nachgerückt. Angeboten und durchgeführt wird dieser vom VHM in Kooperation mit dem Landwirtschaftlichen Zentrum Baden-Württemberg (LAZBW) in Wangen im Allgäu. Die Fortbildung ist berufsbegleitend und in Blöcken über vier Wochen im Jahr verteilt. Angefangen bei der Tierfütterung über die Milchverarbeitung bis hin zu rechtlichen Themen oder der Vermarktung wird alles durchgenommen. Mir gefällt besonders, wie dabei die Unterschiede zwischen traditionellen und industriellen Methoden ersichtlich werden. Wobei ich mich auch ziemlich für die chemischen, physikalischen und mikrobiologischen Prozesse interessiere. Wenn man diese mal verstanden hat, dann kann man beginnen zu spielen.

Und was ist dein Plan für “danach”? Bleibst du dem Käsehandwerk verbunden oder zieht es dich wieder zurück? Hast du deine Entscheidung je bereut? Und was war die größte Umstellung für dich?

„Die größte Umstellung war zu Beginn die körperliche Arbeit.“

Die größte Umstellung war zu Beginn die körperliche Arbeit. In den ersten Wochen hatte ich gleich mal eine Sehnenscheidenentzündung und die Arme sind mir dauernd eingeschlafen. Ich habe mir sagen lassen, dass das wohl ‘normal’ ist. Außerdem, dass ich viel weniger Zeit habe, meine Freunde & Familie zu besuchen. Das hat natürlich auch mit der Entfernung zu tun aber vor allem damit, dass Landwirtschaft keine Wochenenden oder Feiertage kennt. Die Kühe geben ja trotzdem Milch.

Und man bereut ja bekanntlich nur, was man nicht getan hat… Nein, zurück in die Sozialwissenschaften, oder sagen wir mal das Büro, zieht es mich nicht. Mein Plan ist es mich mit “Wurst Käs Szenario” selbständig zu machen. Weiterhin als Käserin und als Schweinehirtin zu arbeiten. Dazu habe ich recht konkrete Pläne, wobei vieles noch von der Standortfrage abhängt – und der Finanzierung.

Was bedeutet Handwerk heute für dich? Und hat sich das durch die Arbeit als Käserin verändert?

„Mittlerweile schätze ich Produkte, die handwerklich hergestellt wurden, viel mehr weil ich weiß wieviel Arbeit dahinter steckt!“

Handwerk hat für mich mittlerweile viel mit Selbstbestimmtheit zu tun. Ich weiß, wie ich Lebensmittel produzieren und konservieren kann. Im Zweifel ohne moderne Hilfsmittel wie Strom oder gefriergetrocknete Käsereikulturen aus Laboren. Mittlerweile schätze ich Produkte, die handwerklich hergestellt wurden, viel mehr weil ich weiß wieviel Arbeit dahinter steckt. Und Leidenschaft. Ein Handwerk macht man nicht so nebenbei.

Laut deinem Instagram-Profil hast du nicht nur zum Käse, sondern auch zu den Schweinen auf dem Hof ein sehr inniges Verhältnis – musst sie aber im Zweifel auch zum Schlachter bringen. Wie ist das für dich? Und was hat das ganze mit Käse und dem Kreislaufgedanken von Demeter zu tun?

Nicht nur im Zweifel. Mit Leben und Tod wird man in der Landwirtschaft fast täglich konfrontiert. Milchwirtschaft bedeutet immer auch Fleischwirtschaft. Warum da jetzt Schweine dazugehören ist auf den ersten Blick vielleicht nicht ersichtlich. Ich muss zugeben, dass ich mit dem philosophischen Hintergrund von Demeter nur wenig vertraut bin, ich bin in etwa so spirituell wie ein Taschenrechner. Aber man muss kein Esoteriker sein, um den Grundgedanken einer biologisch-dynamischen Kreislaufwirtschaft nachvollziehen zu können. Mensch, Pflanze, Tier und Boden wirken zusammen. Die Kühe geben die Milch, die Menschen machen daraus Käse, die Schweine bekommen die Molke und die Menschen wiederum das Fleisch der Schweine. Ein geschlossener Nährstoffkreislauf. Außerdem kann Molke nicht einfach in den Abfluss geschüttet werden, sondern muss gesondert entsorgt werden. Und warum etwas wegwerfen, was so wertvoll ist?

„Das schlimmste ist, die Tiere aus ihrem gewohnten Umfeld zu nehmen um sie zum Schlachter zu fahren.“

Tiere bewusst in den Tod zu begleiten ist schwer zu beschreiben. Ich weiß was kommt, Wochen vorher. Die Schweine nicht. Emotional leide ich definitiv länger. Aber das ist ok so. Ich esse Fleisch, dann muss ich da durch. Das schlimmste ist, die Tiere aus ihrem gewohnten Umfeld zu nehmen um sie zum Schlachter zu fahren. So lange ich die Tiere nicht in ihrer gewohnten Umgebung töten kann, was gesetzlich sehr schwierig ist, versuche ich so viel Vertrauen wie möglich aufzubauen, damit sie am Schlachttag meine Anwesenheit beruhigend empfinden. Im Bezug auf die Lebenszeit gilt für mich beim Tier wie beim Mensch: Nicht die Quantität, sondern die Qualität ist entscheidend. Wobei unsere Tiere vergleichsweise sehr alt werden. Wir essen und verkaufen auch 10 Jahre alte Milchkühe. Aus Prinzip!

Zum Abschluss: Gibt es etwas, was du dir von uns Konsumenten wünschst – egal ob beim Käse, bei Wurst oder auch darüber hinaus?

Freude am Genuss. Und keine Nazis!

Ein schönes Schlusswort – ich danke dir für das Gespräch, liebe Annika!

Ihr wollt Annika auf ihrem Weg zur Käserin begleiten? Dann bitte hier entlang: Auf Instagram und Facebook postet sie immer wieder Eindrücke aus ihrem Alltag und 1A-Schweinecontent!

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„Nobody knows how to make cheese. Until they do.“ #likeridingadragon #got

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