Eines der spannendsten Gastronomiekonzepte Hamburgs findet sich derzeit – mal wieder – in der Cook Up Culinary Gallery in der Weidenallee. Im ehemaligen Restaurant Juwelier können sich junge Gastronomen jeweils für einige Woche austoben und die eigenen Ideen auf Praxistauglichkeit testen. Derzeit am Herd: Das Team Tabula Rasa – bestehend aus Frederica, Marianus und Aaron. Das sind drei junge Köche, die bereits in der Sternegastronomie der Nation unterwegs waren beziehungsweise sind und sicher mit zu den Besten ihres Fachs gehören. Wer jetzt aber Mini-Portiönchen und 12-Gänge-Tasting-Menus in steifer Atmosphäre mit Sommelier und Käsewagen erwartet, wird herbe enttäuscht, denn das Konzept der Drei ist ein gänzlich anderes – aber ohne Abstriche in der Qualität zu machen.

Dabei wäre das Handwerkszeug für ein eigenes Fine Dining Konzept mit Sicherheit vorhanden. Alle drei kennen die Arbeit in mehrfach besternten Küchen und großen Hotels. Frederica stand schon unter anderem im VAU und im Adlon am Herd, Aaron war jahrgangsbester Azubi 2014 und mit Marianus haben die beiden niemand Geringeren als den Gewinner der Global Young Chef Challenge in Lyon 2017, also den besten Jungkoch der Welt, an ihrer Seite. Doch die drei haben etwas anderes vor. Für sie ist gutes Essen keine elitäre Veranstaltung, sondern ein gemeinschaftlicher und geselliger Akt. Das unterstreichen sie direkt mit dem Motto, unter das sie ihr Gastspiel in der Weidenallee gestellt haben: Einfach. Miteinander. Essen.

„Das ist für manche Gäste natürlich erstmal erklärungs- und auch gewöhnungsbedürftig, aber das Feedback ist großartig.“

Und dieses Motto wird gelebt. Kein Sterne-Dogmatismus oder steifes Ambiente, die Musik ist etwas lauter und die Gespräche dürfen das auch sein. Es gibt auch keine Menüfolge, selbst auf die Kategorisierung in Vorspeise / Hauptgang / Nachspeise wird auf der großen Menü-Tafel im Gastraum verzichtet. Darauf finden sich lediglich die 3-4 Hauptkomponenten der Gerichte, der Rest ist Überraschung. Der Gast soll nicht mit französischen Fachtermini oder allzu blumiger Sprache überfordert werden. Neben der Einfachheit liegt der Fokus im Tabula Rasa aber vor allem auf der Gemeinsamkeit: Jeder Gast hat einen Platzteller und Besteck vor sich, sobald er sich setzt. Serviert werden die Gerichte dann in die Mitte des Tisches – und jeder nimmt sich davon. „Das ist für manche Gäste natürlich erstmal erklärungs- und auch gewöhnungsbedürftig, aber das Feedback ist großartig. Und dazu fördert es die Kommunikation am Tisch und auch darüber hinaus mit den Nachbartischen!“, freut sich Aaron.

Versuchslabor Pop Up Restaurant

Etwas Eigenes machen. Diese Idee kam den Dreien, als sie Ende letzten Jahres im privaten Rahmen zusammen kochten und sich dabei prächtig verstanden. Allerdings ist sowas natürlich nicht nur eine fixe Schnapsidee, sondern auch eine große Herausforderung, die viel Planung und Vorbereitung benötigt. Marianus steht seit letztem Jahr nämlich nicht mehr hauptsächlich am Herd, sondern sitzt im Hörsaal und studiert Geographie, das Kochen läuft nebenbei. Aaron macht gerade in Berlin noch seinen Betriebswirt und Frederica kocht ebenfalls eigentlich in der Hauptstadt – und hat sich für das Pop-Up-Restaurant jetzt extra unbezahlten Urlaub genommen. Aber drei Köche allein machen bekanntlich noch kein Restaurant – so ganz ohne Gastraum und Küche. Hier kommt das ehemalige Restaurant Juwelier und dessen Betreiber Lutz Bornhöft ins Spiel. Er stellt seine Räumlichkeiten seit ungefähr einem Jahr im 2-4 Wochen Rhythmus für neue kulinarische Konzepte zur Verfügung. Gegen eine Tagesmiete, versteht sich, allerdings müssen die jungen Küchenteams dadurch nicht die hohen Anfangsinvestitionen für ein eigenes Restaurant aufbringen. Und das mit Erfolg: Schon mehrere Gastspiele aus der Cook Up Gallery haben inzwischen eigene Restaurants in Hamburg aufgemacht, darunter z.B. das „Leche de Tigre“ in Ottensen oder die „Mexiko Straße“ auf St. Pauli.

„Gefühlt ist Hamburg da eher eine Spielwiese für uns und es ist sozusagen noch Platz zwischen Dönerbude und Kevin Fehling.“

„Für uns ist das hier auch ein Proof of Concept – wir können uns ausprobieren und schauen wie unser Konzept ankommt. Ohne Lutz wäre das gar nicht möglich, so eine Versuchsfläche gibt es sonst nur noch eimal in Köln“, ergänzt Aaron direkt. Wo das ganze beim Team Tabula Rasa hinführen soll, steht allerdings noch nicht fest. Ziel ist es schon, irgendwann etwas Eigenes in Vollzeit auf die Beine zu stellen, aber das wollen die drei nach den stressigen Wochen im Cook Up ganz in Ruhe diskutieren und entscheiden. Aber ein gute Nachricht gibt es bereits: Hamburg steht als Standort ganz weit oben. „Hier ist es nicht so übersättigt wie beispielsweise in Berlin“, meint Frederica. „Sicher, dort gibt es wunderbare und wahnsinnig gute Konzepte, aber man ist einer ständigen Reizüberflutung ausgesetzt. Gefühlt ist Hamburg da eher eine Spielwiese für uns und es ist sozusagen noch Platz zwischen Dönerbude und Kevin Fehling.“ Und genau um diesen Spielraum geht es den Dreien. Der Fokus soll nicht auf einem Küchenchef als Person liegen, sondern auf dem Essen. „Wir wollen keine Rockstars sein, die Idee und das Essen sollen im Vordergrund stehen, nicht die Leute“, sagt Aaron.

„Wir wussten vorab schon genau, was wir vorbereiten können und was jeden Tag frisch gemacht werden muss. Sonst würden wir das hier zu dritt wahrscheinlich gar nicht schaffen.“

Was ihnen bei ihrem Gastspiel in der Weidenallee jetzt natürlich hilft, ist die Erfahrung in den Top-Restaurants der Republik. In der kleinen Küche und mit dem kleinen Team muss jeder Handgriff sitzen und die Vorbereitung für den Abend entscheidet über das Gelingen. Als ich einen Nachmittag vor Ort bin, um Fotos zu machen, merkt man das auch ganz deutlich: Aaron kommt fast nicht vom Telefon los, denn er kümmert sich um die Reservierungen, die Personalplanung und alle organisatorischen Aufgaben. Marianus pult derweil für den Abendservice Fleisch aus den kleinen Flusskrebs-Scheren und Frederica faltet hochkonzentriert die Ochsenravioli. Ganz nebenher köchelt ein Pulpo auf dem Herd und die Schwertmuscheln werden in einer großen Schale gewässert. „Da hilft uns unserer Erfahrung natürlich sehr – wir wussten vorab schon genau, was wir vorbereiten können und was jeden Tag frisch gemacht werden muss. Sonst würden wir das hier zu dritt wahrscheinlich gar nicht schaffen“, meint Aaron.

Essen mit Niveau, ganz unprätentiös.

Die Erfahrung und Professionalität des Teams schlägt sich natürlich nicht nur in der Vorbereitung und Organisation nieder, sondern auch auf den Tellern. Es sollen „einfache“ Gerichte sein, die nur aus wenigen Hauptkomponenten zusammengestellt werden. Dabei ist alles, was auf dem Teller landet handwerklich und kompositorisch absolut sauber, auch wenn bei einzelnen Gerichten noch die letzen 2% zur absoluten Perfektion fehlen. Diese Tatsache verbuche ich aber eher unter dem Umstand, dass die drei mit dem Pop Up wirklich mehr als ausgelastet sind und sich auch hier natürlich erstmal alles bis zum letzten Handgriff einspielen muss. Und sind wir mal ehrlich: Das ist Jammern auf ganz ganz hohem Niveau.

Was allen Gerichten aber gemein ist, ist der gewisse Twist, den sie noch haben… So wird beim gegrillten Ochsenherz nicht einfach nur ein Spieß unter Beilagen begraben, sondern das Fleisch wird vorab mit Buchweizen-Koji fermentiert. Das kommt von Markus Shimizu, einem Freund von Aaron, der in Berlin mit seinem Unternehmen Mimi Ferments diese traditionelle japanische Fermentationsart inzwischen auch in verschiedene Sternerestaurants trägt. Es macht den Herzmuskel wunderbar mürbe und mildert etwas den sonst sehr kräftigen Eigengeschmack des Fleisches. In Kombination mit dem Petersiliensalat und dem gerösteten Buchweizen ergibt sich ein tolles Geschmacks- und Texturenspiel im Mund.

Ein weiteres Beispiel ist das Gericht „Tomate / Avocado / Pulpo“. Auf den ersten Blick ist an dieser Kombination wenig Aufregendes, das hat man auch schon in anderen Restaurants auf den Speisekarten gelesen. Auf den Tisch kommt hier allerdings kein einfacher Tomatensalat mit Avocado-Stückchen und Oktopus in fragwürdiger Konsistenz. Die Tomaten werden vorab confiert, zu Marmelade verarbeitet und natürlich auch frisch aufgeschnitten. Zur Avocadocreme wird Öl aus geröstetem Sesam gegeben und der Pulpo wird, nachdem er stundenlang butterzart geköchelt wurde, kurz vor dem Service mit einer feinen Schicht aus Tapiokamehl bestäubt und knusprig frittiert. Dazu wird ein Gläschen eiskalter, klarer Tomatensud serviert. Dabei geht es nicht nur darum, die Geschmacksknospen der Gäste zu erfreuen, sondern auch alle Zutaten möglichst effizient und nachhaltig zu nutzen. Als letzte Hauptspeise bekommen wir noch die mit Ochsenbacke gefüllten Ravioli mit roter Beete, Thai-Pfeffer und Johannisbeeren an den Tisch. Und dieses Gericht ist leider so gutes Soulfood, dass der Teller leer war, bevor ich ein Foto davon machen konnte…

Nachhaltigkeit ist mehr als „nur“ die Verwendung guter Zutaten

Bei der Verwendung nachhaltiger Zutaten haben die drei übrigens ein Ass im Ärmel: Marianus‘ Eltern bewirtschaften nämlich zusammen mit einer Betreibergemeinschaft den Demeter-Hof Wörme am Nordrand der Lüneburger Heide. Von dort wird das Pop-Up-Restaurant mit allerlei saisonalem Gemüse, Brot, Fleisch und Käse beliefert. Eine kürzere Lieferkette gibt es kaum.

Insgesamt ist Nachhaltigkeit beim Team Tabula Rasa übrigens nicht nur ein Lippenbekenntnis und weit mehr, als nur die Urkarotten nebenan aus der Erde zu ziehen und auf den Tisch zu bringen. Für die drei Jungköche bedeutet Nachhaltigkeit in der Gastronomie auch, dass die gesamte Wertschöpfungskette davon profitieren muss. Also vom Zulieferer bis zum Servicepersonal. Dazu gehört nicht nur ein fairer und freundlicher Umgang miteinander, sondern auch eine solide und verbindliche Schichtplanung und Ablauforganisation. Lieber wird weniger auf der Karte angeboten oder auch mal ein Ruhetag eingelegt, als dass das Team sich mit letzter Kraft ins Restaurant schleppt.

Und das merkt man auch. Als ich in der Weidenallee bin, ist trotz dem vollen Reservierungsbuch und den sicher langen Tagen der vergangenen Woche kein unangenehmer Stress bei den Vorbereitungen zu spüren. Aus den Boxen der Stereoanlage kommen Elektro-Sounds und alle in der Küche arbeiten konzentriert, aber nicht verbissen. Und für einen kleinen Spaß oder blöden Spruch zwischendurch sind sich die drei auch nicht zu schade. Aber damit haben sie ja absolut recht: Nicht nur das Essen soll Spaß machen, sondern auch das Kochen!

Team Tabula Rasa in der Cook Up Culinary Gallery (bis 03.09.)
Weidenallee 27
20357 Hamburg
0176 848 898 47
kontakt@team-tabularasa.de

https://www.team-tabularasa.de/
https://www.facebook.com/einfachmiteinanderessen
https://www.instagram.com/team_tabula_rasa

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Moin, Peter mein Name. 32 Jahre alt, Wahlhamburger mit süddeutschen Wurzeln und der Kopf hinter Kost. Ich poste mein Essen schamlos auf Instagram und wenn du mich loswerden willst, kannst du mich gerne auf jedem x-beliebigen Wochenmarkt aussetzen. Dann bin ich erstmal ein paar Stunden beschäftigt...

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