Billy Wagner ist ein umtriebiger Kerl. Nicht nur, dass er sein Restaurant „Nobelhart & Schmutzig“ zusammen mit Küchenchef Micha Schäfer im ersten Jahr bereits zum Michelin-Stern geführt hat. Nebenbei engagiert er sich auch bei Events wie dem Stadt Land Food-Festival und wirbt ausdauernd für eine Rückbesinnung auf die regionale Küche. Und weil das alles noch nicht reicht, hat er vor kurzem zusammen mit drei weiteren Berliner Restaurants noch die „Gemeinschaft für gute deutsche Esskultur“ gegründet. Das ambitionierte Ziel dieser Initiative: Die deutsche Küche zu fördern, ihr ein eigenes Image zu verpassen und ganz nebenbei auch noch unseren alltäglichen Umgang mit Lebensmitteln zu beeinflussen. Am Rande des Stadt Land Food Festivals hatte ich die Möglichkeit, Billy ein paar Fragen zum Projekt zu stellen.
Hallo Billy. Sag doch mal: Was verbirgt sich hinter dem etwas sperrigen Namen „Gemeinschaft für gute deutsche Esskultur“? Und wer steckt dahinter?
Wir sind vier Berliner Restaurants: Das Einsunternull in Mitte, das Horváth, wir mit dem Nobelhart & Schmutzig und das Restaurant ERNST von Dylan Watson, das erst Anfang nächsten Jahres aufmachen wird. Wir treffen uns seit circa einem Jahr und reden darüber, wie man in der Umgebung, in der wir leben, ein bisschen Identität, eine Nachricht transportieren kann. Was dabei letztendlich herauskommt, kann ich noch nicht so genau sagen. Das ist noch soweit in den Kinderschuhen, dass wir noch gar nicht wissen, wohin das Ganze läuft. Aber wir stellen uns Fragen wie: Was bedeutet es eigentlich, regional zu kochen? Was für Produkte hat die Region und wie kann ich diese verarbeiten? Und nicht zuletzt: Wie kann regionale Küche aus Berlin, aus Deutschland, aus Brandenburg interessant kommuniziert werden?
Was ist dabei bisher entstanden?
„Wir wollen die deutsche Esskultur fördern und damit auch zu einem Wertewandel in der deutschen Gesellschaft beitragen.“
Wir haben jetzt erstmal ein Manifest geschrieben, das unsere erste Arbeitsgrundlage ist. Darin haben wir den Grundgedanken einmal formuliert und festgehalten: Wir wollen die deutsche Esskultur fördern und damit auch zu einem Wertewandel in der deutschen Gesellschaft beitragen. Zugegeben, ein großes Ziel, ja. Jetzt geht es darum, das Ganze auch mit Inhalten zu füllen. Dazu schauen wir gerade, wer daran Interesse hat und wer uns dabei – auch finanziell und kommunikativ – unterstützen kann. Als konkrete Aktion könnte das zum Beispiel so aussehen: Ich kann mir total gut vorstellen, dass der Micha, mein Küchenchef, mit den anderen drei Küchenchefs einen Abend in einem Restaurant in London macht. Um dort die Berliner Küche zu präsentieren. Oder dass auf einem Foodfestival in Kopenhagen ein Abend stattfindet, zu dem wir Produkte von hier mitbringen, diese zusammen verarbeiten und darüber diskutieren. Oder wir machen einen Käseworkshop – Was haben wir da gelernt? Das mal runterschreiben, das Ganze auf Englisch übersetzen, dass es auch Leute von außen lesen können. Damit man da ne Transparenz hat.
Euer Ziel ist es also, der deutschen Küche nicht nur nach innen, sondern auch nach außen eine Identität zu geben?
„Vor 15 Jahren hatte niemand geahnt, dass die skandinavische Küche auf dem internationalen Radar auftaucht.“
Ja, oder härter ausgedrückt: Werbung dafür zu machen! Das, was wir hier immer als deutsche Küche sehen, ist eigentlich ein Plagiat aus Frankreich. Das ist eine gute Basis und es wird auch sehr gut gekocht. Aber eben immer mit französischen Ideen und Produkten. Da wird Gemüse aus Frankreich eingekauft, da wird mit Gewürzen gearbeitet, die hier nicht heimisch sind. Es geht gar nicht darum, dass das schlecht ist. Nein, es ist toll, dass es das gibt. Aber es ist schade, dass es das andere nicht gibt. Und daran wollen wir arbeiten! Sicher, wir hätte mit dem Nobelhart & Schmutzig auch alleine vorpreschen können, aber mit vier Restaurants, die alle einen guten Ruf haben, entwickelt man direkt eine viel größere Strahlkraft. Und die ist wichtig, wenn wir im Außenbild nicht nur für Autos, Fußball und Bier wahrgenommen werden wollen. Und das kann funktionieren. Vor 15 Jahren hatte niemand geahnt, dass die skandinavische Küche auf dem internationalen Radar auftaucht. Heute hat man direkt ein Bild vor Augen, was diese Küche ausmacht – und wenn es nur Moos und Tannennadeln sind. Sowas wollen wir auch für unsere Küche etablieren. In welche Richtung es läuft, wissen wir noch nicht.
Ganz uneigennützig sind die Gedanken dahinter aber nicht, oder?
Nein, im Endeffekt ist es natürlich auch für uns gut. Wenn die beteiligten Restaurants dadurch als etwas Besonderes wahrgenommen werden, dann müssen wir uns auch keine Sorgen darum machen, die Tische vollzubekommen. Aber primäres Ziel ist das nicht. Auch hier wieder der Vergleich zu Dänemark: Das Noma in Kopenhagen ist zwar immer voll, aber es ist eben auch ein Vorteil für die ganzen anderen Restaurants rundherum. Die profitieren alle davon, dass die Leute nach Kopenhagen fliegen, dort essen und eine ganze Szene entdecken. Natürlich kannst du in Kopenhagen auch scheiße essen, das ist ganz logisch. Aber du kannst auch sehr sehr gut essen. Und damit meine ich nicht teuer. Sondern einfach gut. Zum Beispiel bei dieser Mexikanerin, die auch mal im Noma gearbeitet hat, sich dann selbstständig gemacht hat und jetzt zusammen mit Geflüchteten Enchiladas macht. Das ist eigentlich das Interessante: Das Netzwerk, was durch solche Initiativen entstehen kann! Und wie man zum Beispiel die Leute, die hier beim Stadt Land Food sind, mit anderen Ideen und Richtungen versorgen kann: Dass sie nicht das essen müssen, was im Supermarkt angeboten wird, sondern dass es da auch Wahlmöglichkeiten gibt.
Wo du gerade den Supermarkt ansprichst: Die vier Restaurants der „Gemeinschaft für gute deutsche Esskultur“ sind alle eher im oberen Preisspektrum angesiedelt. Liegt das Problem mit dem fehlenden Wissen und dem fehlenden Umgang mit regionalen Lebensmitteln nicht eher in der Masse als in der Spitzengastronomie?
Ja, total. Natürlich sind wir ein elitärer Kreis. Bei uns im Nobelhart & Schmutzig zahlt man pro Person locker 150 Tacken für nen Abend. Das ist natürlich nichts, was sich Lieschen Müller jeden Tag leisten kann. Aber: Ich hab Jon-Frede Engdahl, einen der Inhaber vom Maaemo, diesem 3-Sterne-Restaurant in Oslo, kennengelernt. Die haben vor 6 Jahren mit dem Motto „Creativity through Limitation“ aufgemacht. Also Sachen rauslassen, weglassen. Damit haben die eine ganze Stadt beeinflusst. Weil es Nachahmer gibt und sie selbst sich auch mehr Gedanken um die Produkte machen. Was sich dann soweit runterzieht, dass die zum Beispiel auch eine Bäckerei betreiben, wo sie einfach Brot verkaufen – für jeden erschwinglich. Die bewirtschaften inzwischen eigene Gärten, aus denen sie wiederum andere Gastronomen beliefern. So breitet sich das aus und eine ganze Stadt wird davon geprägt. Die Martkhalle 9 ist zum Beispiel auch ein Teil dieser Entwicklung in Berlin. Hier kann jeder etwas zum Essen, zum Trinken, zum Anfassen finden. Es wird vielleicht nicht jeder die Wildkräuter bei Roberto Vena kaufen, weil es zu teuer ist. Aber vielleicht ne Rote Bete bei Frau Baronick. Die sind relativ günstig, weil sie eigentlich alles selber machen: den Anbau, den Verkauf ohne Zwischenhändler und so weiter.
Und das reicht, um eine ganze Esskultur umzukrempeln?
„Wir gehen inzwischen soweit, dass wir mit Kleingärtnern reden, ob wir auch von denen Lebensmittel verarbeiten können.“
Natürlich, die Masse wirst du nur begrenzt erreichen. Du kannst aber bei einem gewissen Teil der Leute das Bewusstsein schärfen, dass man mehr Aufwand betreiben muss, um gute Lebensmittel zu bekommen. Es kann nicht sein, dass man einmal die Woche seinen Einkauf macht und dann alles zuhause hat. Du musst zwei, dreimal einkaufen gehen. Du musst dein Leben so strukturieren und du musst es wollen, das du das 2–3 mal die Woche machen kannst. Eigentlich ist das inzwischen auch gut möglich. Vor 25 Jahren hätte man noch sagen können: Ich will aber im Bioladen einkaufen und der ist am anderen Ende der Stadt. Heute gibt es in Berlin über 300 solcher Läden. Es ist also schon eine ganze Menge, die entstanden ist, auch an Versorgung und Infrastruktur. Das muss einfach noch konsequent weitergehen! Wir gehen inzwischen soweit, dass wir mit Kleingärtnern reden, ob wir auch von denen Lebensmittel verarbeiten können. Das fände ich super spannend. Einfach auch entgegen dieser extremen Globalisierung, durch die eigentlich alles immer verfügbar ist.
Man kommt also auch mit kleinen Schritten zum Ziel?
Genau. Vorgestern war ich bei einem Nordic Think Tank. Da sprach der Nachhaltigkeitsbeauftragte vom Roskilde-Festival. 8 Tage, 130.000 Leute, 1,5 Millionen Portionen Essen. Und es ist ist super interessant, wie die das dort gestalten: Nächstes Jahr wird das Essen zu 90% Bio sein. Fleisch ist seit letztem Jahr schon komplett Bio. Klar, ob das jetzt das beste Fleisch der Welt ist, sei mal dahingestellt. Ob das Handwerk der Köche gut ist, auch. Aber: es ist zumindest besser produziert als normale Qualitäten. Und ich finde das Verständnis gut. Als Vergleich: Die Fusion hier in Deutschland ist ja komplett fleischlos, es gibt nur vegetarische Essensstände. Das war auch eine Überlegung in Roskilde. So viele Menschen, so viel Fleisch… Gut ist das ja eigentlich nicht. Aber sie haben gesagt: Ne, wir machen Fleisch, weil dann haben wir es in der Hand. Wenn wir von jedem, der bei uns einen Stand macht, die Einkaufsprotokolle sehen und wissen, wo er was einkauft, dann haben wir die Kontrolle. Wenn wir sagen, wir sind fleischlos, gehen die Leute einfach vor das Festivalgelände und bauen da ihre Fressmeile auf, ohne jede Reglementierung. Oder die Besucher bringen sich Supermarkt-Wurst mit und schmeißen die auf den Grill. Weil sie auf einem Festival sind und die Wurst eben haben wollen. Da dann nicht dogmatisch zu sein, sondern ein gesundes Verständnis an den Tag zu legen ist meiner Meinung genau der richtige Weg. Damit kannst du die Leute langsam in die richtige Richtung führen. Denn es ist halt nicht egal, wenn man für 2 € ein Kilo Schweinefleisch kauft.
Ihr seid jetzt hier erstmal auf Berlin fokussiert. Wollt ihr das Konzept noch weiter ausrollen?
„Wenn du dein Wissen nur für dich einsetzt, dann bist du eine Zeit lang wahnsinnig erfolgreich. Aber das ist zu kurzfristig gedacht.“
Wir freuen uns, wenn wir Nachahmer für die Gemeinschaft für gute deutsche Esskultur finden. Wir verstehen uns ja als Forum für Leute, die daran teilnehmen wollen. Die sich das eventuell auch auf die Fahne schreiben wollen, die lose daran teilhaben wollen. Dass wir unsere Erfahrungen, die wir machen, teilen wollen, ist aber eine ganz klare Sache. Eine Nachahmerkultur ist unabdingbar. Und das betrifft nicht nur Berlin. Auf dem Land gibt es Leute, die selbst schlachten und das Gemüse selbst anbauen oder regional zukaufen, zünftige Gasthäuser in denen du tolle deutsche Küche bekommst. Das ist genau so brutal lokal wie wir und ein Teil dessen, wohin wir wollen. So wie ich nichts davon halte, eine Mauer zwischen uns und allen anderen an der Grenze aufzubauen, finde ich auch, dass es nicht gut ist, Wissen zu beschützen. Wissen muss transparent sein, denn dann entsteht auch ganz viel Neues. Wenn du dein Wissen nur für dich einsetzt, dann bist du eine Zeit lang wahnsinnig erfolgreich. Aber das ist zu kurzfristig gedacht. Deshalb sollte man immer ganz viel Offenheit an den Tag legen. Und auch bei unserem Projekt geht es darum, zugänglich zu bleiben – damit Leute sich einbringen und teilhaben können. Nur dann ist man erfolgreich. Und wird auch wahrgenommen. Das ist ja auch ein bisschen das Selbstverständnis von Berlin. Normalerweise sitzt du in einem Laden wie dem Café 9 – wie wir jetzt – und bist der einzige Deutschsprechende. Ich finde das bereichernd. Weil so viele unterschiedliche Ideen, Meinungen, Ansichten zusammenkommen. Und durch die Offenheit kann sich auch das Projekt weiterentwickeln, weil verschiedene Positionen zusammenkommen.
Wie geht es jetzt konkret weiter mit der „Gemeinschaft für gute deutsche Esskultur“?
Zunächst mal wollen wir schnell loslegen und die Kommunikation an den Start bringen. Und damit dann die Leute motivieren. Sie dazu bringen, sich mehr mit Produkten auseinanderzusetzen. Mit dem, wo das Essen herkommt. Mit denen, die das Essen gemacht haben. Mit der Art, wie es gemacht wurde. Wir wollen die Leute dazu bringen, Spaß daran zu haben, sich beispielsweise mit Obstwein zu beschäftigen, wie du es gerade im Seminar getan hast. Diese Lust, etwas zu erfahren, was eigentlich im Verborgenen stattfindet, wecken. Das ist das eigentliche Ziel, das wir haben!
Ein ambitioniertes Projekt – ich bin schwer gespannt, was daraus wird. Vielen Dank für das Gespräch, Billy!
Sehr gerne!
Das vollständige Manifest der „Gemeinschaft für gute deutsche Esskultur“ steht hier zum Download zur Verfügung:
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